Auch die schönste Reise muss einmal zu Ende gehen. Der letzte Tag meiner Rundreise um die Ostsee war also angebrochen. Nach einem Teller Bolognese bei Vapiano am frühen Mittag für knapp 30 Euro hieß es gegen 12:30 Uhr Abschied nehmen von Kopenhagen. Die letzten 1100 Kilometer waren ja quasi nur noch ein Klacks. Zweimal Umsteigen und dann ab Hamburg durchgehend im ICE bis Wiesbaden.
Der erste und leider recht beschmierte Zug der Dänischen Bahn brachte mich bis Frederica. Dort stand am selben Bahnsteig gegenüber der nächste InterCity der DSB bereit. Dieser brachte mich bis zum Hamburger Hauptbahnhof. Nicht nur pünktlich, sondern auch noch 4 Minuten vor Plan. Der Bahngott war also immer noch auf meiner Seite.
Das eigentlich Interessante an der letzten Fahrt waren auch nicht so sehr die Fahrzeuge oder die Strecke, sondern viel mehr die Mitreisenden. In jedem der drei Züge, kam ich mit den unterschiedlichen Mitreisenden schnell ins Gespräch . Daher hat dieser Blogpost auch nur recht wenige Fotos.
Im ersten Zug saßen mir zwei Damen um die 50 gegenüber. Wie sie mir erzählten, begann ihre Reise bereits nördlich von Stockholm und das Ziel ihrer Reise war in der Nähe von Nizza. Alles in allem rund 2750 Kilometer. Alles mit dem Zug. Wer solch eine Reise unternimmt, kann kein schlechter Mensch sein und so kamen wir schnell ins Gespräch. Ich erzählte von meiner zurückliegenden Tour und sie von ihrer bevorstehenden.
Ab Hamburg wollten sie mit dem Nachtzug bis nach Basel fahren. Von hier ging es für sie über die Alpen bis Mailand und von dort schließlich mit einem Schnellzug nach Nizza. Dort hatten sie eine geführte Tour durch die Weinberge gebucht. Besonders gefreut haben sie sich, als ich ihnen schon mal Bilder aus der Schweiz und von Norditalien gezeigt habe, was sie entlang der Strecke erwartet. Der Umstieg in Frederica trennte uns aber schließlich wieder. Ab dort hatten wir nämlich reservierte Plätze in unterschiedlichen Wagen.
Nebensitzer hatte ich nun erstmal keine mehr, dafür aber ein Mädel aus dem arabischen Raum, das mich bat, ihr im WLAN-losen Zug kurzzeitig einen Hotspot mit meinem Handy aufzumachen. Aus dem kurzen Whatsapp-Gruß wurde ein längerer Chat mit ihren Verwandten oder Bekannten. Aber ich hatte ja eh noch 9 GB Volumen übrig. Daran sollte es also nicht scheitern.
Ab der Grenze schaute sie mich aber immer häufiger ratlos an. Ihre Nachrichten gingen nicht mehr raus. Kein Wunder – mein Handy hatte ja auch nur noch Edge-Empfang. Und das auf dem platten Land. Berge konnten da keine im Weg sein!
Verschämt erklärte ich ihr, dass man in Deutschland selbst mit dem besten Anbieter auch im Jahr 2018 leider noch zahlreiche Funklöcher durchfahren muss. Gesagt hat sie nichts dazu. Aber der Blick hat gereicht. Ich hab ihr wohl innerhalb weniger Minuten das komplette Deutschlandbild im Kopf zerstört.
In Hamburg wartete schließlich mein Empfangskomitee – das aus Niels bestand. Stilecht mit Namensschild am Bahnsteig! Da ich in Hamburg eine längere Umstiegszeit eingeplant hatte, war genug Zeit für ein Bier bei bestem Wetter an der Binnenalster.
Leider endete im Hamburger Hauptbahnhof aber auch meine bargeldlose Zeit jäh. Ich erwischte eine Bahnhofstoilette, die die 70 Cent mehr oder weniger passend haben wollte. Davor hatte ich die letzten Wochen seit Frankfurt an der Oder quasi ohne Bargeld gelebt.
Um 19:23 Uhr brach ich schließlich auf. ICE 887 direkt nach Wiesbaden Hbf – mein allerletzter Zug der Tour Baltica. Erfreulicherweise hatte ich eine Reservierung in meinem Lieblingsabteil bekommen. Beim ICE1 sind das in der zweiten Klasse die Sitze 91 bis 96. Weit genug weg von der Toilette, sodass man nicht die ganze Zeit die Spülung hört und auch nicht an der Schiebetür zum Großraumbereich wie das 80er-Abteil.
Als ich das Abteil am Hauptbahnhof betrat, saß schon ein älterer Herr drin. Er muss wohl in Altona zugestiegen und auf der kurzen Strecke bereits eingeschlafen sein, was mich aber nicht störte. Wenig später stiegen noch eine Dame um die 70 und eine junge Studentin zu. Nun wurde es etwas lauter im Abteil. Aufgewacht war der alte Mann nun zwar, zeigte aber weiterhin kein richtiges Lebenszeichen.
Das ließ der Hamburger Dame keine Ruhe. Sie stellte ihm eine Frage nach der anderen und wollte mehrmals wissen, ob’s ihm nicht gut gehe. Die Fragen beantwortete er alle nur mit „Mir fehlt nichts.“. Kurz darauf wollte er von seinem Fensterplatz zur Toilette durchgelassen werden. Schleppte dazu aber merkwürdigerweise seinen schweren Koffer mit. Auf dem ICE-Tisch ließ er jedoch einen Ravensburger Spielekarton zurück.
Die nächsten 4 Stunden bis Frankfurt gingen wir davon aus, dass es ihm zu laut war und er nun wahrscheinlich in einem anderen Abteil sitzen würde. Jedenfalls dachten wir, dass er seinen Karton schon noch holen wird, aber dem war nicht so. Der merkwürdige Herr, der zwischen Uelzen und Hannover verschwand tauchte nie wieder auf.
Vier Stunden lang stand der Karton also vor uns. Aber angerührt haben wir ihn nicht. Erst kurz vor Frankfurt habe ich reingeschaut, ob sich darin ein Hinweis auf den Eigentümer findet. Dem war aber nicht so. Außer den Acrylfarben und ein paar Schablonen war nix im Karton. In Wiesbaden habe ich dann dafür gesorgt, dass der Karton ins DB-Fundbüro geht. Aber die Geschichte hinter dem merkwürdigen Herrn werde ich wohl nie erfahren.
Zusammen mit der gesprächigen Dame und der Studentin habe ich mir nämlich die wildesten Geschichten über den Herr ausgedacht. Jedenfalls eine nette Runde. Nur als die junge Islamwissenschaftlerin dann mit diversen Vorurteilen der älteren Dame konfrontiert wurde, da wurde es zeitweise etwas anstrengend. Aber wir haben beide gut dagegen gehalten. Überzeugt haben wir sie glaub nicht. Aber wenigstens ließ sie vom Thema ab, nachdem man ihr ein paar Fakten und Zahlen um die Ohren gehauen hatte.
Gegen Mitternacht haben wir dann Frankfurt erreicht. Ab hier hatte ich das Abteil dann für mich ganz allein. Die Studentin fuhr gegen 2 Uhr noch weiter bis Freiburg und die ältere Dame hatte noch eine Fahrt mit der rollenden Jugendherberge – der Kosename für einen in der Nacht rollenden ICE – bis nach München vor sich.
In Wiesbaden kam ich schließlich mit 3 Minuten Verspätung um Punkt 1 Uhr nachts an. Die 3 Minuten haben wir am Flughafenbahnhof eingesammelt, denn dort haben wir auf einen minimal verspäteten RailJet, der über zwölf Stunden zuvor in Budapest gestartet war, gewartet. Das fand ich okay.
Auf der gesamten 10.500 Kilometer langen Reise ergibt sich damit eine Verspätung von exakt minus 30 Minuten! Sprich ich war 30 Minuten weniger unterwegs, als die Fahrplandaten es hergaben. Das macht ihr mir bitte erstmal mal nach. 😉
Erleichtert, ein bisschen traurig aber auch ein bisschen froh stieg ich im Heimatbahnhof aus dem Zug. Meine Fahrt über einen Monat lang um die Ostsee inkl. Abstecher nach St. Petersburg und durch fast komplett Norwegen war nun zu Ende.
Gesund und munter, nur ein bisschen müde war ich zuhause angekommen. Wie mein Trip durch Vietnam eine Reise, bei der ich meine Reiseapotheke komplett umsonst mitgeschleppt habe. Diesmal hatte ich noch nicht mal ein Blasenpflaster benötigt. Laut iPhone-Schrittezähler hab ich immerhin um die 400 Kilometer zu Fuß zurückgelegt.
Um unzählige Erfahrungen, Erinnerungen und Fotos reicher, dafür ein paar Euro ärmer. Und immer noch scheinbar endlos viele Karmapunkte fürs Eisenbahnfahren. So lässt sich die Reise recht gut zusammenfassen. Wenn ihr wollt, kann ich noch einen eigenen Blogpost zu den Ausgaben schreiben. Hab ja fast alles mit Karte bezahlt, daher lässt sich das leicht aufsummieren und dank meiner vergebenen Tags in Outbank auch gut nach Kategorie aufschlüsseln.
Nützliche Links:
Statistik der Tour Baltica | Kopenhagen – Wiesbaden | Gesamte Tour: |
Kilometer: | 1073 Kilometer | 10.052 Kilometer |
Im Zug und Bus verbrachte Zeit: | 11 Stunden 10 Minuten | 150 Stunden 20 Minuten |
Gesammelte Verspätung: | 3 Minute | -30 Minuten |
Anzahl der Züge: | 3 | 31 |
Anzahl der Busse: | 0 | 10 |
Anzahl der Mietwagen: | 1 | 1 |
Anzahl der Schiffe: | 0 | 4 |
Anzahl der Speisewagenbesuche: | 0 | 5,5 |
Fahrpreis: | 32,40 €* + 3,90 €** + 12,90 €*** | 847,63 € |
* Interrail-Ticket (Anteilig)
** Sitzplatzreservierung
*** mein zusätzliches DB-Ticket von Hanau bis Wiesbaden
7 Kommentare
Mann, Mann, Mann. Da ist schon doll!
Eine Frage: hast du Kopenhagen als Fahrrad-Stadt erlebt?
Ach – unter Umständen gehörte der Karton nicht dem Herrn, sondern lag da schon vorher? Schaut aus, als hätte ein Kind ihn liegen gelassen.
Der Zug kam aus HH-Altona. Ich bin am Hbf eingestiegen. Wenn man mal davon ausgeht, dass er in Altona gereinigt wurde, dann hätte die Person nur von Altona bis Dammtor mitfahren dürfen. Aber vielleicht hat auch die Reinigungskraft vergessen den Karton aus dem Zug zu tragen.
Mysteriös! Spannend! Und kann einem nur im Zug passieren :-))) Schön!
Zu Kopenhagen und Fahrrad hab ich doch ein paar Sätze im Kopenhagen-Artikel geschrieben 😉
Die Anzahl der Radfahrer war beeindruckend. Selbst bei Regenwetter!
Infrastruktur war gut, könnte aber teils auch noch besser sein, da sie dem Andrang nicht mehr nach kommt.
Was sehr schön war, das war die Akzeptanz von Radfahrern im Stadtverkehr. Alle Autofahren waren rücksichtsvoll und auf Radwegen hat auch nur ein Flixbus aus Deutschland geparkt.
Jo, ich erinnere mich. Da ich grad andere Infos bekommen habe („soooo Radstadt ist es nun auch nicht“), dachte, ich frag nochmal nach. Wahrscheinlich hängt es davon ab, welche Erfahrungen man in der eigenen Stadt gemacht hat…
Ach – der Ravensburger Karton schaut aus, als hätte ein Kind ihn schon vor dem Herrn dort liegen gelassen?